28. Juli 2023 von David Mattin
Im Mittelpunkt unserer Erfahrungen als Innovationstreibende – und als Menschen – steht der Wandel
Gastbeitrag von David Mattin - Gründer des Newsletters New World Same Humans
Das Jahr 2023 geht in die zweite Hälfte und weiterhin mangelt es uns nicht an Beweisen dafür, dass sich die Welt um uns herum rasant verändert.
Inmitten dieses Trubels suche ich nach sich abzeichnenden Trends, nach Wegweisern für die Zukunft, die Innovationstreibenden und Fachkräften dabei helfen, sich mit all den Veränderungen zurechtzufinden. Wie ich das anstelle? Indem ich unsere Welt im Wandel – oft bedeutet das: neue Technologien – aus der Perspektive grundlegender menschlicher Bedürfnisse betrachte.
Jeder bedeutungsvolle Trend hat mit einem grundlegenden menschlichen Bedürfnis zu tun: mit einem Mehrwert an Sinn, Komfort, Sicherheit, Status und so weiter. Wenn eine aufkommende Technologie eine neue Möglichkeit erschließt, eines dieser Bedürfnisse zu befriedigen, dann entwickeln sich daraus anhaltende Trends, also neue Lebens- und Denkweisen. Wir können diese Trends als Sprungbrett für Innovationen nutzen – als Chance, neue Produkte, Dienstleistungen und Erlebnisse zu entwickeln, die die Menschen wirklich wollen.
Beim adesso digital day im Juni teilte ich mit den versammelten Gästen drei aktuelle Trends. Jeder dieser Trends bietet eine Möglichkeit zur Innovation, die ihr in die Praxis umsetzen könnt.
Der Genesis-Moment
In diesem Jahr gab es einen riesigen Hype um generative KI, einschließlich großer Sprachmodelle wie GPT-4. Aber was bedeutet diese neue Technologie wirklich für das menschliche Leben? Welche Chancen hält sie bereit?
Eine bedeutende Entwicklung wird sein, dass Verbraucherinnen und Verbraucher ihre eigenen KI-gestützten Dialogsysteme einsetzen werden. Millionen vonUsern werden eine Beziehung zu einem virtuellen Begleiter aufbauen, der sie besser kennt als alle anderen, rund um die Uhr verfügbar ist und unermüdlich endlose Gespräche über alle erdenklichen Themen mit ihnen führt, von der Buchung eines Urlaubs bis hin zu ihren tiefsten Ängsten und Träumen.
Klingt nach Science-Fiction? Ist aber bereits Realität. Seht euch einmal den KI-basierten virtuellen Menschen des israelischen Start-ups D-ID an: https://www.d-id.com/chat/.
Ich bin überzeugt, dass virtuelle Begleiter dieser Art unseren menschlichen Alltag mit derselben Wucht und genauso weitreichend umkrempeln werden wie das Smartphone.
Was glaubt ihr? Wenn Milliarden von Verbraucherinnen und Verbrauchern in Zukunft einen ständigen KI-Begleiter an ihrer Seite haben, welche Ansprüche werden sie dann an die Interaktionen mit euch als Marke stellen?
Ganz einfach: Sie werden erwarten, dass auch ihr ein KI-Dialogsystem anbietet, eine virtuelle KI-Person, die im Hinblick auf Markenstimme, Persönlichkeit und Wertekanon genau das vermittelt, was die User von euch gewohnt sind. Auf diese Weise wird sich generative KI zu einer entscheidenden neuen Ausdrucksform der eigenen Markenidentität entwickeln.
Die Realität als Simulation
Wir stehen erst am Anfang einer Reihe von Veränderungen, die eine nie da gewesene Verflechtung des Digitalen und Physischen mit sich bringen.
Wir vernetzen jedes Objekt, jedes Fahrzeug, jedes Gebäude und jede Person mit der Welt der Informationen und Daten. Das tun wir, indem wir alles mit Sensoren bestücken.
Was das bedeutet? Wir schaffen uns die Möglichkeit, aus all den Daten, die wir aus unserer physischen Umgebung sammeln, komplexe virtuelle Modelle der realen Welt zu formen. In den kommenden Jahren werden diese Simulationen eine immer wichtigere Rolle spielen – als Informationsquelle, Orientierungshilfe und Ausgangspunkt für neue Innovationen.
Beispiel gefällig? Dann werft einmal einen Blick auf die Partnerschaft zwischen BMW und Nvidia und das Omniverse: https://blogs.nvidia.com/blog/2023/03/21/bmw-group-nvidia-omniverse/. Die Plattform wurde 2022 eingeführt und ermöglicht eine realitätsgetreue Repräsentation komplexer physischer Objekte und Umgebungen. BMW verwendet Nvidia Omniverse zur Simulation seiner Fertigungssysteme.
Die BMW-Werke müssen laufend an die Fertigungsprozesse neuer Fahrzeugmodelle angepasst werden. Bis vor kurzem bedeutete das, dass das Werk für einige Tage schließen musste, damit alles neu konfiguriert werden konnte. Solche Unterbrechungen in der Produktion sind äußerst kostspielig. Dank Omniverse kann diese Neukonfiguration jetzt zunächst als Simulation erfolgen. Erst, wenn die Ingenieurinnen und Ingenieure mit den Ergebnissen zufrieden sind, wird die Anpassung im realen Werk umgesetzt. Laut BMW bedeutet das eine grundlegende Veränderung im Fertigungsprozess. Derzeit baut das Unternehmen ein 2 Milliarden Euro teures E-Auto-Werk im ungarischen Debrecen und plant, die gesamte Produktionsstätte in Omniverse zu simulieren.
Währenddessen setzt Amazon dieselbe Plattform für die Simulation seiner Versandzentren ein. Und Tesla verwendet Unreal Engine 5 – jene Plattform, die auch das erfolgreiche Online-Videospiel Fortnite antreibt –, um eine virtuelle Version von San Francisco zu erstellen, in der es seine Selbstfahr-Software testen kann.
Viele Unternehmen müssen sich die Frage stellen: Wie könnten Simulationen unsere Prozesse verbessern? Wäre es möglich, unseren Kundinnen und Kunden die nötige Technologie und das Know-how an die Hand zu geben, damit sie selbstständig nützliche Simulationen erstellen können?
Öffentliche Güter
Die Suche nach informierteren und nachhaltigeren Formen des Konsums ist ein Jahrzehnte überdauernder Megatrend.
Verbraucherinnen, Verbraucher sowie Kundinnen und Kunden haben sich daran gewöhnt, dass Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsziele kommunizieren.
Aktuell werden die Forderungen nach einer systematischen Transformation der Unternehmenswelt immer lauter. Weg von geschlossenen, undurchsichtigen und extraktiven Geschäftsmodellen hin zu offenen, transparenten und nachhaltigen Ansätzen.
Wie ihr das 2024 in die Tat umzusetzen könnt?
Durch das Teilen öffentlicher Güter. Sucht euch eine Innovation oder einen Teil eures geistigen Eigentums aus – einen, der zur Bewältigung einer großen, kollektiven Herausforderung beiträgt – und teilt ihn mit der Welt. Sogar mit eurer Konkurrenz!
Das mag im ersten Moment abwegig erscheinen. Aber es ist der beste Weg, euren Kund:innen und Verbraucher:innen zu beweisen, dass ihr bereit seid, mehr zu tun als nur über Nachhaltigkeit, Ethik und eine bessere Welt zu reden. In den kommenden Jahren werden Millionen von Menschen sich ganz genau ansehen, welche Organisationen ihre Versprechen in die Tat umsetzen.
Ein inspirierendes Beispiel ist die Dating-App Bumble. Das Unternehmen entwickelte eine KI-Funktion, die bei einem Problem Abhilfe schafft, mit dem User von Dating-Apps oft zu kämpfen haben: unerwünschte Nacktbilder, siehe: https://bumble.com/en/the-buzz/privatedetector. Bumble hätte das Tool für sich behalten und als Alleinstellungsmerkmal vermarkten können. Stattdessen teilten sie es mit der gesamten Dating-App-Branche und forderten ihre Mitbewerbenden dazu auf, es einzusetzen.
Ein mutiger Schritt, der beweist, dass das Unternehmen die eigenen Werte lebt.
Abgesehen von Innovationen gibt es noch andere öffentliche Güter, die ihr mit der Welt teilen könnt. Eines davon ist Wissen. Das Messaging-Tool Slack beispielsweise entwickelte einen Prozess zur Einstellung ehemals Inhaftierter, um ihnen eine zweite Chance zu geben. In Zusammenarbeit mit dem Aspen Institute fassten sie ihr unternehmerisches Wissen zu einem Manifest zusammen, das sie offen zugänglich machten.
Überlegt euch: Mit welcher Innovation oder Funktion, mit welchem Know-how könntet ihr dazu beitragen, eine große, gemeinsame Herausforderung anzugehen?
Ihr seid an der Reihe
Trends sind Sprungbretter für Innovationen.
Nutzt diese drei Trends und entwickelt daraus leistungsstarke neue Produkte, Services und Erlebnisse – für 2024 und darüber hinaus.
Und denkt daran: Wenn ihr selbst neue Trends ausmachen wollt, betrachtet die sich verändernde Welt durch die Linse grundlegender menschlicher Bedürfnisse wie Sinn, Komfort, Sicherheit, Status und so weiter.
Haltet Ausschau nach Technologien, die neue Wege eröffnen, diese grundlegenden Bedürfnisse zu erfüllen. Und fragt euch: Was werden Kund:innen und Verbraucher:innen angesichts dieser Innovationen von meinem Unternehmen erwarten?