5. Juli 2022 von Sabine Fischer
Kundenzentrierte Leistungsprozesse in Berufsunfähigkeit (BU) und privater Krankenversicherung (PKV)
Oftmals stehen Leistungsprozesse in der Priorisierung von Optimierungen durch die Versicherungsunternehmen immer hinter den Neuantragsprozessen, denn nur diese erzeugen Einnahmen, wogegen Leistungsprozesse Kosten produzieren. Kein Wunder also, dass viele Investitionen in für Kundinnen und Kunden einfache und angenehme Neuantragsprozesse fließen und die Leistungsbearbeitung oftmals das Nachsehen hat. Dabei zeigt sich erst im Leistungsfall der Wert der Versicherung für Kundinnen und Kunden!
Natürlich ist auch nicht jeder Leistungsprozess gleich, sondern der Prozess für Leistungsanträge in der Lebensversicherung (LV) und privaten Krankenversicherung (PKV) hängt vom Produkt ab. Es gibt einfache Prozesse für einfache Produkte und Leistungen und es gibt automatisierte oder zumindest teilautomatisierte Prozesse für große Mengen von Anträgen, wie beim PKV-Erstattungsprozess für ambulante oder stationäre Heilbehandlungen. Jedoch sind die Leistungsprozesse für die Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) und das Krankentagegeld (KT) in der privaten Krankenversicherung (PKV) deutlich komplexer. Die Sachverhalte sind nicht immer eindeutig und möglicherweise sehr teuer für ein Unternehmen, so dass häufig individuelle Bearbeitungen und Regelungen notwendig sind. Im Folgenden betrachten wir dies an einem Beispiel aus verschiedenen Perspektiven.
Leistungsantrag BU oder KT aus der Perspektive der bzw. des Versicherten
In beiden Fällen ist die oder der Antragstellende seit längerer Zeit krank (BU: 6 Monate, KT: 6 Wochen). Das heißt, wenn die Antragstellerin oder der Antragsteller den Antrag auf Leistungszahlung stellt, geht es ihr oder ihm in der Regel gesundheitlich nicht gut und nun bekommt sie oder er langsam finanzielle Probleme. Der Leistungsantrag wird entweder über ein Online-Portal oder häufiger in Papierform eingereicht. Relativ schnell erhält man dann einen umfangreichen Fragebogen, in dem Angaben zur Tätigkeit, zum Einkommen und zur Erkrankung gemacht werden müssen. Häufig braucht die Antragstellerin oder der Antragsteller zur Beantwortung bereits Unterstützung. Viele Fragen wurden aus Sicht der oder des Antragstellenden bereits bei Antragstellung beantwortet – das müsste die Versicherung doch eigentlich bereits wissen. Nun gut, am Ende ist der Fragebogen ausgefüllt sowie abgeschickt und einer Leistungszahlung steht aus ihrer oder seiner Sicht nichts mehr im Wege.
Nach zwei Wochen schickt die Versicherung statt Geld erneut Unterlagen, die ausgefüllt werden müssen. Im vorliegenden Beispiel einen Fragebogen zur psychischen Erkrankung sowie einen Fragebogen zu den finanziellen Verhältnissen. Kaum hat die Antragstellerin oder der Antragsteller alle Informationen mühevoll zusammengetragen und an die Versicherung verschickt, erhält sie oder er den nächsten Fragebogen – diesmal zur beruflichen Tätigkeit. Dazu dann noch einen Fragebogen für die Ärztin oder den Arzt, und Nachweise für das Einkommen werden ebenfalls angefordert. Die oder der kranke Antragstellende muss sich nun mit all diesen Fragebögen auseinandersetzen und zusehen, wie er an alle Informationen kommt. Einiges wurde schon beim ersten Fragenbogen beantwortet, doch nun wird erneut danach gefragt. Die bisherigen Antworten sind nirgendwo zu sehen. Die oder der Antragstellende fühlt sich wie ein Bittstellender und eigentlich beantragt sie oder er nur eine Leistung, deren Auszahlung vertraglich vereinbart ist und für deren Absicherung sie oder er jeden Monat über Jahrzehnte hinweg eine Prämie gezahlt hat. Diese wurde jedoch noch nie in Anspruch genommen und jetzt, wo die Versicherung krankheitsbedingt wirklich gebraucht wird, werden ihr oder ihm nur Steine in den Weg gelegt. Eine Unterstützung zur Gesundung ist das nicht. Im Gegenteil, die psychische Verfassung der oder des Antragstellenden verschlechtert sich weiter. Existenzängste kommen hinzu, denn wovon soll er im nächsten Monat seine Miete zahlen?
Leistungsprüfung aus Sicht des Versicherers
Betrachten wir nun den Leistungsprozess aus der Perspektive der oder des Leistungssachbearbeitenden. Der Leistungsantrag trifft ein und die Sachbearbeiterin oder der Sachbearbeiter erkennt sehr schnell, dass es sich um einen „Psychefall“ handelt. Bei ihr oder ihm läuten alle Alarmglocken, da psychische Erkrankungen beispielsweise in der BU die häufigste Diagnose für einen Leistungsfall sind. Die Erkrankungen sind schwer nachzuweisen, die Angaben der Ärztin oder des Arztes sind nicht immer eindeutig, Gutachten dauern gefühlt eine Ewigkeit. Ein Leistungsantrag mit viel Arbeit – das wird auf jeden Fall ihre oder seine Bearbeitungsquote senken.
Die oder der Sachbearbeitende erfasst die Eckdaten und versendet den üblichen Fragebogen für berufliche, finanzielle und medizinische Angaben. Nach Eingang des allgemeinen Fragebogens stellt sich heraus, dass eine Auskunft über weitere Details zur psychischen Erkrankung notwendig ist. Er versendet also den Fragebogen für psychische Erkrankungen. Nach einiger Zeit geht der ausgefüllte Fragebogen ein, aus der Beschreibung der Symptome wird deutlich, dass die berufliche Tätigkeit von Bedeutung für die Arbeitsfähigkeit sein kann. Nun fällt der oder dem Sachbearbeitenden auf, dass das Berufsbild „Kauffrau“ oder „Kaufmann“ nicht eindeutig ist, also muss ein Berufsfragebogen versendet werden, in dem die oder der Antragstellende die ausgeführten Tätigkeiten beschreibt. Zudem muss die Antragstellerin oder der Antragsteller ihr oder sein Einkommen nachweisen, da die Einkommensbelege noch fehlen und daher angefordert werden müssen. Die oder der Sachbearbeitende löst den Fragebogen im System aus und fordert im individuell formulierten Anschreiben den Nachweis des Einkommens. Eine Arztanfrage wird versendet, nachdem die oder der Antragstellende den Berufsfragebogen zurückgesandt hat, da noch keine Klarheit über den Leistungsfall besteht. Nach zwei Wochen wird eine Erinnerung an die Ärztin oder den Arzt verschickt und nach vier Wochen kommt der Fragebogen von der Ärztin oder vom Arzt zurück. Jetzt muss die oder der Sachbearbeitende erstmal mit der oder dem Antragstellenden klären, ob diese oder dieser noch immer krank ist. Vielleicht noch ein Gutachten zur Absicherung? Sie oder er ist sich unsicher, klare Guidelines fehlen … Dieser Fall nervt und ist zeitintensiv.
Der Prozess aus einer neutralen Beobachterperspektive
Die oder der erkrankte Antragstellende muss viele Informationen liefern, um in den Genuss ihrer oder seiner Leistung zu kommen. Vielfach müssen diese doppelt oder in verschiedenen Detailgraden eingereicht werden. Dann wird alles stückweise abgefragt, viele Wochen vergehen und die Ausgaben der oder des Antragstellenden laufen permanent weiter, während Einnahmen ausbleiben.
Die oder der Leistungssachbearbeitende nutzt die vorgegebenen Prozesse. Es fällt ihr oder ihm schwer, sich ein Bild von der oder dem Antragstellenden zu machen. Ist dieser tatsächlich krank oder ist es nur eine vorgeschobene Erkrankung? Durch die Abfrage weiterer Details nähert er sich der Sachlage langsam. Es geht allerdings immer nur in kleinen Schritten weiter. Die oder der Sachbearbeitende agiert subjektiv und kann nur das veranlassen, was technisch und fachlich möglich ist.
Ein Prozess mit viel Potenzial! Beide Seiten könnten von Optimierungen profitieren:
- Eine Abfrage aller Informationen zu Beginn auf einem Detaillevel, der zur Entscheidung reicht.
- Bekannte Informationen sollten bereits eingedruckt/vorbelegt sein.
- Standardisierte Anschreiben sparen Zeit.
- Erkrankungs- und berufsabhängige Vorgaben ersparen der oder dem Sachbearbeitenden eigene (subjektive) Entscheidungen und die oftmalige Wiederaufnahme des Leistungsantrags.
- Ein telefonischer Kontakt ermöglicht einen schnellen Informationsgewinn und vermittelt einen persönlichen Eindruck für die Sachbearbeiterin oder den Sachbearbeiter.
- Ein telefonischer Kontakt vermeidet unklare Angaben und nicht verstandene Fragen und vermittelt dem Antragstellenden das Kümmern des Versicherers.
Ergänzend ist zu berücksichtigen, dass Kundinnen und Kunden im digitalen Zeitalter andere Anforderungen an Prozesse haben als noch vor wenigen Jahren. Mehr allgemein verfügbare Informationen führen zu anspruchsvolleren Kundinnen und Kunden. Es werden kompetente und schnelle Reaktionszeiten erwartet, wie es auch beispielsweise bei Online-Käufen der Fall ist. Ein neuer Prozess muss diese Anforderungen berücksichtigen und Kundinnen und Kunden mit einer guten Customer Experience dort abholen, wo sie gerade stehen.
Perspektiven geklärt – und was kommt jetzt?
Meine Kolleginnen und Kollegen und ich können Anwendungen von Grund auf entwickeln oder auch Standardsoftware einführen. Aber was wir darüber hinaus mitbringen, sind umfassende Kenntnisse der Leistungsprozesse in den Versicherungen. Dieser Mix aus Technologieexpertise und fundiertem Verständnis des jeweiligen Geschäfts macht uns aus. Wir analysieren eure Prozesse und schaffen echte Customer Experience. In unseren Projekten arbeiten wir auf Augenhöhe zusammen und stellen unter anderem durch Endkundenbefragungen sicher, dass die Optimierungen den Endkundinnen und -kunden helfen und auch dem digitalen Wandel gerecht werden. Wir diskutieren über gewachsene Prozesse, Hierarchien und die „Das war schon immer so“-Mentalität und öffnen mit einer durchgängigen Kundenzentrierung neue Perspektiven. Nichts, was wir gemeinsam erarbeiten, darf der Wertschätzung gegenüber den Kundinnen und Kunden im Wege stehen – keine organisatorischen Abläufe, keine aufwändigen Prozesse und keine Formalismen.
Unser Ziel sind zufriedene Kundinnen und Kunden, denn nur sie sind loyal und teilen diese Zufriedenheit in ihren Peergroups. Eine gute Leistungsbearbeitung spricht sich herum und bildet die Basis für gute Marketingkennzahlen (Stichwort Net Promoter Score).
Mein Fazit
In der Leistungsprüfung der Personenversicherung müssen die Prozesse zukunftsorientiert und kundenzentriert ausgerichtet werden. Wir unterstützen als Team dabei in vielfältiger Weise. Gerne stehe ich als Sparringspartnerin für Diskussionen zur Verfügung, bei denen ich selbstverständlich auch eure Unternehmensinteressen im Blick habe. Hier gilt wie an vielen Stellen: Auf die richtige Balance kommt es an!