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Als Harrison Ford in dem berühmten Film Indiana Jones und der letzte Kreuzzug vor die Aufgabe gestellt wurde, den Heiligen Gral aus einer Vielzahl von Bechern und Pokalen herauszusuchen, stand er erst einmal vor einer schier unlösbaren Herausforderung. Welche der präsentierten Möglichkeiten ist die richtige?

Ein Sprung in die Realität: Holen wir uns die nur allzu präsenten Herausforderungen in der Energiewende ins Gedächtnis. Da stoßen wir auf verschiedene Aspekte, zum Beispiel den Einfluss von Wetterschwankungen auf die Angebotsstabilität, den Netzausbau und auch die Speicherung von Strom.

Das Speichern von Strom stellt immer noch eine der zentralen Herausforderungen in der Energiewende dar. Dies liegt in der Tatsache begründet, dass Strom zum Zeitpunkt der Erzeugung ebenfalls wieder verbraucht werden muss, um die Qualität des Stromnetzes nicht zu beeinträchtigen. Wird überproportional mehr Strom verbraucht als erzeugt oder andersherum, kann es im schlimmsten Fall zu einem Blackout kommen. Durch die Transformation von einer zentralen Energieerzeugung hin zu einer dezentralen Energieerzeugung, kann es aufgrund des Einsatzes von Wind und PV-Anlagen immer stärkere Erzeugungsspitzen geben. Daher müssen diese Erzeugungs- und Lastspitzen durch Speichertechnologien aufgefangen werden. Es gibt bereits einige Möglichkeiten, um überschüssigen Strom zum Beispiel über Pumpspeicherkraftwerke, Power-to-Heat- und Power-to-Gas-Anlagen, Großbatterien oder gekoppelte Schwarmspeicher (viele virtuell miteinander verbundene und steuerbare Kleinbatterien) zu speichern. Große Markterwartungen werden in die neuen Vehicle-to-X-Technologien gelegt.

Vehicle-to-Home, Vehicle-to-Load oder doch Vehicle-to-Grid?

Vehicle-to-Home (V2H) beschreibt den Ansatz, bei dem Strom aus der Antriebsbatterie des E-Autos zurück in das Heimnetz oder ein Netz in anderen Gebäuden geleitet wird. So können zum Beispiel Heimoptimierungen, tarifoptimiertes Laden/Entladen gesteuert oder Stromausfälle überbrückt werden.

Unter Vehicle-to-Load (V2L) versteht man vereinfacht gesagt das Laden von Haushaltsgeräten direkt über die Antriebsbatterie des Autos. So können beispielsweise Mobiltelefone, Föhne oder Laptops direkt mit der Batterie des Autos über einen integrierten Schuko-Stecker-Eingang geladen und bedient werden.

Vehicle-to-Grid-Lösungen (V2G) beschreiben auf der anderen Seite ein Konzept zur Abgabe von elektrischem Strom aus den Antriebs-Akkus von Elektro- und Hybridautos zurück in das öffentliche Stromnetz. Im Unterschied zu reinen E-Autos können bidirektional ladefähige Fahrzeuge nicht nur elektrische Energie aus dem Netz entnehmen, sondern als Teil eines intelligenten Energiesystems in Zeiten erhöhter Netzlast wieder über spezielle Ladestationen in das Netz oder das Haus einspeisen (bidirektionales Laden). Der Vorteil hierbei besteht in der Unterstützung der Versorgungssicherheit. Wo bisher der Markt das Angebot anhand der Nachfrage bereitgestellt hat, wird das Angebot in Zukunft eine viel höhere Fluktuation aufweisen, da nicht immer gleich viel Sonne scheinen und gleich viel Wind wehen wird. Bei einem erhöhten Angebot oder bei einer erhöhten Nachfrage können V2G-fähige Fahrzeuge genutzt werden, um überschüssigen Strom aufzunehmen oder bei einer erhöhten Nachfrage als Regelenergieleistung bereitzustellen.

Vehicle-to-Grid-Ansätze beruhen auf dem Umstand, dass die meisten Fahrzeuge den größten Teil des Tages geparkt sind. Beispielsweise werden die meisten Privatfahrzeuge in Deutschland weniger als zwei Stunden täglich bewegt und stehen damit den Großteil des Tages für V2G-Anwendungen zur Verfügung. Da die Ladezeit üblicherweise deutlich geringer ist als die tatsächliche Standzeit, kann die Ladedauer der Batterien an die jeweiligen Anforderungen im Stromnetz angepasst und können die Elektroautos somit zum Lastmanagement eingesetzt werden. Unter der Annahme, dass 70 Prozent der Fahrzeuge über eine Batteriegröße von 20 Kilowattstunden (kWh) verfügen und die Batterie zu 50 Prozent geladen ist, könnten eine Mio. Elektroautos 7 Gigawattstunden (GWh) zusätzliche Speicherkapazität zur Verfügung stellen. Selbst wenn alle Fahrzeuge nur einphasig über normale Haushaltssteckdosen mit 3 Kilowatt ans Netz angeschlossen wären, stünde eine Regelleistung von 2,1 Gigawatt zur Verfügung. Würden jedoch 90 Prozent aller Autos in Deutschland auf oben beschriebene Elektroautos umgestellt, könnten diese 277 GWh elektrische Energie speichern und 83 GW Ausgleichsenergie bereitstellen.

Zusätzlich ermöglichen alle Vehicle-to-X-Anwendungen eine Sektorenkopplung. Die Voraussetzung ist, dass E-Autos bidirektionales Laden ermöglichen. Das ist noch lange nicht bei allen E-Fahrzeugen gegeben oder nur eingeschränkt möglich. Der Energiefluss wird durch eine bidirektionale Lademöglichkeit wie eine Wallbox oder ein Heim-Energie-Management-System (HEMS) gesteuert.

Welche Lösungen eignen sich jetzt am besten?

Es wurde beschrieben, dass V2G nicht dasselbe ist wie V2H oder V2L. So sind allerdings die technologischen Anforderungen an die jeweiligen E-Autos schon dieselben, um einen bidirektionalen Ladefluss zu unterstützen.

Damit E-Autos in Zukunft als dezentraler Speicherort dienen können, muss bidirektionales Laden durch die richtige Infrastruktur unterstützt werden. Beim bidirektionalen Laden des E-Autos wird der Wechselstrom (AC) aus dem Stromnetz in Gleichstrom (DC) umgewandelt. Das ist nötig, da die Batterie des Elektroautos nur mit Gleichstrom funktioniert und betrieben wird. Das Umwandeln geschieht entweder im E-Auto oder in der Ladeinfrastruktur durch einen jeweils eingebauten Wechselrichter. Vor allem die asiatischen Fahrzeuge, die mit einem CHAdeMO-Stecker ausgestattet sind, haben die Möglichkeit der Rückspeisung.

Bisher gibt es nur wenige Modelle, die das bidirektionale Laden unterstützen. Dazu gehört der Nissan LEAF, der Nissan e-NV200, der Mitsubishi Outlander, der Mitsubishi i-MiEV, der Hyundai Ioniq 5, der Kia EV6 sowie der Volvo EX90 (ab 2023). Zudem können die neuesten Modelle des Volkswagen ID.3 und ID.4 mit der Technik nachgerüstet werden.

Voraussetzungen

Anders als bei Indiana Jones gibt es tatsächlich nicht nur die eine optimale Lösung, sondern alle sind valide und können für sämtliche individuellen Szenarien eingesetzt werden. Um die drei Lösungen weiter miteinander vergleichen zu können, wechseln wir im Folgenden von der Theorie in die Praxis.

Um V2X-Technologien grundsätzlich zu nutzen, muss das Elektrofahrzeug (BEV) über eine bidirektionale Ladefunktion verfügen sowie an einem Ladepunkt angeschlossen sein, um diese Funktionalität nutzen zu können. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass die Ladeinfrastruktur massiv ausgebaut werden muss, um das Auto nicht nur zu laden, sondern um es auch als Batteriespeicher im Netz nutzen zu können. Dies würde einen Ausbau der Ladeinfrastruktur nicht nur an den Autobahnen bedeuten, sondern auch in urbanen Zentren, an den Arbeitsstätten und an Plätzen, an denen über einen längeren Zeitraum geparkt wird.

Für die technische Umsetzung dieser Lösung muss neben der nötigen Batterie das Batteriemanagementsystem (BMS) mit der Ladeinfrastruktur kommunizieren können und ein Wechselrichter verbaut sein, der für die Umwandlung des Stroms sorgt.

Des Weiteren eignen sich zwar beide Lademöglichkeiten, also AC- und DC-Laden, allerdings macht die Einbindung von V2X unter einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise eher mit AC-Ladepunkten Sinn (Wechselstrom), da AC-Ladepunkte um einiges günstiger sind. Zusätzlich braucht es wahrscheinlich auch nicht die Möglichkeit einer rapiden Ent- oder Aufladung, wenn eine geeignete Sollgröße an Fahrzeugen bereitsteht. Aus heutiger Sicht unterstützt allerdings nur das asiatische Schnellladesystem CHAdeMo bidirektionales Laden. In Verbindung mit der ISO 151118 soll auch die europäische/amerikanische CSS-Variante bidirektionales Laden unterstützen.

Die ersten Use Cases:

Im Oktober 2018 haben „The Mobility House“, der Energieversorger „ENERVIE“, der Übertragungsnetzbetreiber „Amprion“ und der Automobilhersteller „Nissan“ das erste bidirektional ladefähige Elektroauto (Nissan Leaf) vorgestellt, das sich gemäß allen regulatorischen Anforderungen eines Übertragungsnetzbetreibers (ÜNB) für die Primärregelleistung qualifiziert. Damit kann dieses Elektroauto als Regelkraftwerk in das deutsche Stromnetz integriert werden und durch die Einspeisung von Primärregelleistung in Sekundenschnelle Schwankungen (etwa drohende Stromausfälle) im Stromnetz ausgleichen.

Zusätzlich wurde durch eine in der Schweiz durchgeführte Studie belegt, dass mittels der Nutzung von Elektrobatteriespeichern als Pufferspeicher die Stromsystemkosten um bis zu 14 Prozent gesenkt werden können. Weitere Vorteile ergaben sich durch die effizientere Verwertung von erneuerbaren Energien, wenn diese in Spitzenproduktionszeiten zwischengespeichert werden können, sowie das Glätten von Marktpreisschwankungen zwischen Stunden und Tagen.

Neben diesen Chancen ergeben sich offene Fragen, die noch nicht abschließend geklärt sind, wie beispielsweise: Wie kann das wirtschaftlich skaliert werden? Wie werden die an diesem Markt Teilnehmenden vergütet? Wie wird die Steuerung umgesetzt? Ein möglicher Lösungsansatz für die offenen Fragen könnte der Einsatz von virtuellen Kraftwerken zum Steuern von Schwarmbatterie sein.

Und das Ende der Geschichte?

Ob wir jetzt tatsächlich den Heiligen Gral wie Indiana Jones gefunden haben, kann noch nicht abschließend gesagt werden. Wahrscheinlich wird eine Kombination aus verschiedenen Technologien umgesetzt. Sicher ist allerdings, dass es vermehrt Speichermöglichkeiten am Markt gibt, um die hohe Nachfrage oder das hohe Angebot an Strom flexible decken zu können.

Bild Ellen Szczepaniak

Autorin Ellen Szczepaniak

Ellen Szczepaniak ist eine erfahrene Projektmanagerin mit Schwerpunkt in der Beratung von Unternehmen der Energiewirtschaft. In ihren Projekten hat sie sowohl Erfahrungen als Requirements Engineer und Scrum Master im agilen Umfeld als auch als Interaction Room Coach und Managementberaterin in klassischen Projekten gesammelt. Sie zeichnet sich insbesondere durch ihre strukturierte und analytische Vorgehensweise sowie ihre Expertise im Kontext der Energiewirtschaft und Elektromobilität aus.

Bild Felix Magdeburg

Autor Felix Magdeburg

Felix Magdeburg ist Senior Consultant in der Business Line Utilities bei adesso und berät Energieunternehmen zu Zukunftsthemen wie Elektromobilität und unterstützt digitale Transformationsprojekte als Projekt- oder Teilprojektleiter.

Seit einigen Monaten ist er unter anderem dafür verantwortlich, Cursor bei seinen Kunden als Projektleiter zu unterstützen und das Partnergeschäft strategisch weiter auszubauen.

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