3. November 2022 von Prof. Dr. Volker Gruhn und Dirk Pothen
Rasantes Wachstum und Unternehmenskultur - der Tanz auf der Rasierklinge
Bilanz und Geschäftsbericht geben Auskunft darüber, ob ein Unternehmen erfolgreich ist. Zeigen die Kennzahlen in die richtige Richtung, beweist das die Tragfähigkeit des Geschäftsmodells. Und das Talent der Beschäftigten. Aber wirtschaftlicher Erfolg ist nur ein Aspekt eines gesunden Unternehmens. Ob Umgang miteinander, Zusammenarbeit mit Kunden, Grundsätze der Führung oder Haltung bei gesellschaftlichen Fragen: In all dem zeigt sich die Kultur eines Unternehmens. Sie ist häufig schwer zu fassen – und doch das Fundament des Erfolges. Sie schafft ein Gefühl der Gemeinschaft und Vertrautheit. Quer durch alle Aufgabenbereiche und Hierarchiestufen, über alle Standorte und Ländergrenzen hinweg.
Kultur ist nichts Statisches, genau das Gegenteil ist der Fall: Sie ist ständig in Bewegung, integriert Ideen, passt sich an Veränderung an. Die Verantwortlichen können diese Veränderung fördern und moderieren, aber das Endergebnis nur selten bestimmen. Kultur sucht sich ihre eigenen Wege. In einem Unternehmen mit moderaten Wachstumsraten hat sie die Muße, sich weiterzuentwickeln. Anders sieht es in einem dynamischen Umfeld aus: Hohes Wachstum über einen längeren Zeitraum verändert ein Unternehmen in seinen Grundfesten. So funktionieren das Weitergeben und das Leben der Kultur nicht mehr so selbstverständlich wie früher.
Bei adesso befinden wir uns in dieser Situation des dynamischen Wachstums: Vor 25 Jahren waren es zwei Leute an einem Tisch. Inzwischen sind es über 6.800 Mitarbeitende, verteilt über 40 Standorte in Europa und der Türkei. Gut 2.400 Beschäftigte kamen in der adesso-Gruppe allein in den letzten zwölf Monaten hinzu. Wie bei jedem erfolgreichen Unternehmen ist es eine Mischung aus Geschick und Glück, die uns halfen: Kunden, die uns Vertrauen entgegenbringen. Mitarbeitende, die sich mit Leidenschaft in Projekte stürzen. Technologien, deren Potenzial wir nutzen.
In diesem Blog-Beitrag machen wir uns Gedanken über die Unternehmenskultur in dynamischen Umgebungen. Nicht um zu zeigen, was wir alles wissen. Sondern um durch Aufschreiben und Durchdenken ein Gespür dafür zu entwickeln, wie wir mit dem Thema besser umgehen können. Und um hier auf LinkedIn von Verantwortlichen zu lernen, die sich in vergleichbaren Situationen befinden.
Die vier Säulen einer lebendigen Kultur
adesso veränderte sich im letzten Vierteljahrhundert – genau wie der Markt für IT-Dienstleister und der Stand der Technologien – grundlegend. Unsere Unternehmenskultur trug diese Umwälzungen, passte sich an. Wir bewahrten uns trotz der Entwicklung unsere Form der Zusammenarbeit und des Zusammenseins – vom gemeinsamen Frühstück bis zu unserem Faible für den „gesunden Menschenverstand“.
Aber: Mit zunehmender Zahl der Mitarbeitenden, Töchterunternehmen, Standorte oder Ländergesellschaften müssen wir unserer Kultur auch auf andere Art lebendig halten. Denn der direkte Draht zu kulturstiftenden Elementen wie Gründern oder langjährigen Mitarbeitenden wird für viele immer dünner. Dafür sorgt unser teils sprunghaftes Wachstum. Wir sehen vier Felder, denen dabei eine besondere Bedeutung zukommt:
(1) Die Vorgesetzten – Kultur manifestiert in Führung
Bei unserem System, das auf einer Ende-zu-Ende-Verantwortung mit hohen Freiheitsgraden beruht, tragen die Führungskräfte eine besondere Verantwortung. Sie sind Multiplikatoren der kulturellen Werte. Für ihre Teams übersetzen sie teils ungeschriebene oder abstrakte Elemente ins Greifbare. Durch ihr Verhalten vermitteln sie Vorstellungen, sie prägen Einstellungen.
Führungskräften füllen Kultur auf vielfältige Art mit Leben. Für uns gehört dazu,
- Werte nicht als gegeben hinzunehmen, sondern an der kulturellen Evolution mitzuarbeiten.
- Rahmen zu schaffen, innerhalb derer sich die eigenen Teams mit kulturellen Fragen auseinanderzusetzen.
- das gesamte Unternehmen im Blick haben – und nicht ausschließlich den eignen Verantwortungsbereich optimieren
- auf schlanke Prozesse, sowohl intern als auch an der Schnittstelle zu Kunden, setzen.
(2) Das Recruiting – Kultur manifestiert sich in Personen
Fachliche Qualifikationen lassen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit bestimmen. Dabei helfen Zeugnisse, Zertifikate, Referenzen oder Arbeitsproben Schwieriger fällt es im Recruitingprozess, die kulturellen Aspekte abzuklopfen. Dabei spielt der „kulturelle Fit“ eine ebenso große Rolle wie der „fachliche Fit“. Im Zweifel eignen sich neue Mitarbeitende eine weitere Technologie einfacher an als ein anderes Wertekostüm.
Diese kulturellen Aspekte stellen besondere Anforderungen an das Auswahlverfahren. Und das Beurteilungsvermögen der Entscheiderinnen und Entscheider. Wir unterstützen sie durch strukturierte Interviews, Check-ups oder die systematische kollegiale Beratung mit anderen Führungskräften. Einer Gefahr treten wir mit diesen Maßnahmen entgegen: dem Einstellen um des Einstellens willen. Sprich, Personen auszuwählen, die fachlich passen, um bei anderen Aspekten ein Auge zuzudrücken. Jede Führungskraft ist so unabhängig und sollte so selbstbewusst sein, dem zu widerstehen. Auch wenn die ambitionierten Wachstumsziele des Gesamtunternehmens kurzfristig für Druck im Recruiting sorgen: Langfristig sind wir nur erfolgreich, wenn wir Kolleginnen und Kollegen einstellen, die sich mit unseren Vorstellungen identifizieren.
(3) Die Zusammenarbeit – Kultur manifestiert sich in Verhalten
Unternehmenskultur benötigte eine konkrete, schriftliche Form, siehe unten. Aber sie darf sich darin nicht erschöpfen. Aufgeschrieben wirken einzelne Aspekte häufig generisch, klingen allgemein verbindlich. Was eine Kultur wert ist, zeigt sich im tagtäglichen Verhalten. In der Zusammenarbeit mit anderen adessi, mit Kunden und Partnern. Aus der Art und Weise dieser Zusammenarbeit lässt sich ableiten, was ein Unternehmen wirklich ausmacht.
So steht in unserem Wertekatalog „Respekt und Freundlichkeit sind unsere Grundwerte: Danke, Guten Tag, Lächeln.“ Gelebt wird das jeden Morgen im Treppenhaus, wenn Kolleginnen und Kollegen sich dutzendfach einen schönen Tag wünschen. Mit diesem Wert unvereinbar ist dagegen eine Führungskraft, die sich den ganzen Tag in ihrem Büro verschanzt und sich beim Team nie blicken lässt.
Kultur prägt aber nicht nur Verhalten, Verhalten prägt auch Kultur. Nachhaltigkeit ist ein aktuelles Beispiel dafür. Für zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist der verantwortungsvolle Umgang mit Ressourcen, beruflich wie privat, ein relevantes Thema. Sie setzten in ihren Bereichen Initiativen auf, stießen Diskussionen an. Diese Strömungen greifen wir aktuell auf und gießen sie in Leitlinien, die unser Verhalten prägen werden.
(4) Die Kommunikation – Kultur manifestiert sich in Worten
Geht es um Kultur, zählen aber nicht nur Taten. Über welche Themen wir reden, wie wir miteinander sprechen, welche Begriffe wir benutzen: All das sind kulturelle Hebel, deren Wirksamkeit wir nicht unterschätzen dürfen. Kommunikationsverhalten beeinflusst Verhalten. Die leidenschaftliche Diskussion über geschlechtergerechte Sprache vermittelt einen Eindruck von der Bedeutung, die Worte und Wortwahl für Menschen haben.
Einerseits müssen Unternehmen die eigenen Werte vermitteln, auch in Form einer kulturellen Verfassung. Es ist die Aufgabe der internen Kommunikation, die Informations- und Deutungshoheit über den Aspekt der kulturellen Vermittlung zu sichern. Klare Botschaften, vermittelt über die ganze Bandbreite der Kommunikationskanäle, sorgen für einen einheitlichen Wissensstand. Das spielt gerade in verteilten Organisationen wie unserem Unternehmen eine Rolle. Ob Teammeetings oder regelmäßige Termine an allen Standorten mit Beteiligung des Managements. Ob Online-Fragerunden mit dem Vorstand oder der Small Talk an der Kaffeemaschine: Solche Gelegenheiten bieten die Möglichkeit, zentrale Kulturbotschaften zu vermitteln. Ohne den Holzhammer zu bemühen.
Andererseits liegt es in der Verantwortung aller Mitarbeitenden, die kulturellen Werte auch im individuellen Kommunikationsverhalten weiterleben zu lassen. Dabei können Unternehmen mit Trainings oder Vorlagen unterstützen.
Fazit
Vorgesetzte. Recruiting. Zusammenarbeit. Kommunikation. Stehen diese Worte so nebeneinander, ist ihnen ihre Bedeutung nicht anzusehen. Wir aber sind davon überzeugt, dass diese Elemente darüber entscheiden, wie unsere Kultur sich weiterentwickeln wird.
Unabhängig davon, auf welcher Basis in ein paar Jahren vielleicht 10.000 adessi gemeinsam neues schaffen werden: Der gesunde Menschenverstand spielt dann immer noch eine zentrale Rolle.