3. März 2022 von Nehir Safak-Turhan
Warum brauchen Banken eine Nachhaltigkeitsstrategie?
„Die Welt vereint, um gegen den Klimawandel zu kämpfen“ – unter diesem Motto beschlossen 196 Staaten auf der Klimakonferenz der UN das sogenannte „Pariser Abkommen“ (2015) und leiteten die Geburtsstunde der ersten rechtsverbindlichen Klimaschutzvereinbarung ein. Ein Vertrag, der für viele Beobachterinnen und Beobachter den Beginn einer neuen Ära im Kampf um die größte Herausforderung unserer Gegenwart eingeleitet hat: den Klimaschutz. Damit verlässt das Thema Nachhaltigkeit den Status des reinen Lippenbekenntnisses und gewinnt durch weitere Vereinbarungen, wie die Sustainable Development Goals (SDGs) der UN sowie den „Green Deal“ der EU-Kommission, an Verbindlichkeit.
Heute ist der Megatrend Nachhaltigkeit in aller Munde. Typisch in seiner Eigenschaft wird er sämtliche Lebensbereiche wie Umwelt, Soziales, Politik und Wirtschaft tangieren und langfristige strukturelle Veränderungen nach sich ziehen. Auch vor der Bankenwelt macht er keinen Halt und wird Bewährtes auf den Prüfstand stellen und Neues erschaffen.
Was kommt auf Banken zu?
Das neue Geschäftsfeld Sustainable Finance wird sich in den kommenden Jahren zu den größten Wachstumsbereichen im Banking entwickeln und sämtliche Wertschöpfungsaktivitäten grundlegend verändern. Eine Neuausrichtung bankinterner Strategien und Geschäftsmodelle, Produkte, Prozesse und Bankdienstleistungen wird die Folge sein. Was konkret auf Banken zukommt, fasse ich in Kürze für euch zusammen.
1. Banken als Finanzintermediäre sind die Katalysatoren des strukturellen Wandels
Bis 2050 will Europa mit dem sogenannten „Green Deal“ zum ersten klimaneutralen Kontinent werden. Aus volkswirtschaftlicher Perspektive entspricht dies einem strukturellen Wandel, der mit dem Umbau der Wirtschaft und Infrastruktur einhergeht und eine Finanzierung erfordert. Nach Schätzungen der EU besteht allein in den kommenden zehn Jahren eine jährliche Investitionslücke von 180 bis 250 Milliarden Euro, um den Wandel zu begleiten.
Finanzinstituten kommt hier eine wichtige Rolle zu: Banken als Finanzintermediäre werden in die Pflicht genommen, die notwendigen Kapitalströme in nachhaltige Projekte und Investitionen sicherzustellen und zu lenken. Somit fungieren sie einerseits als Kreditgeber, sichern den Kapitalfluss für Infrastrukturprojekte und übernehmen andererseits die von der Regulatorik und Gesetzgebung eingeforderte Steuerung der Finanzströme hin zu nachhaltigen Investitionen. Ein riesiger Investitionsmarkt nimmt gerade erst Fahrt auf.
Eine ähnliche Dynamik gilt auch für die Entwicklungen auf dem Kapitalmarkt, denn nachhaltige Investments boomen: Das weltweite Volumen nachhaltiger Kapitalanlagen betrug 2020 (Global Sustainable Investment Alliance) 35,3 Billionen US-Dollar. Das stellt ein Wachstum von 15 Prozent in zwei Jahren und insgesamt 36 Prozent aller professionell verwalteten Vermögenswerte dar. Es gilt zu erwarten, dass weitere imposante Wachstumsimpulse folgen.
Für Banken, die ihr Geschäftsmodell danach ausrichten, entstehen somit Chancen für zusätzliche Wachstums- und Ertragspotentiale, die sie in einem stetig wachsenden Markt erwirtschaften können. Die Übertragung dieses Trends in adäquate Produkte, Angebote und Finanzdienstleistungen wird eine hohe Anpassungs- und Reaktionsgeschwindigkeit in allen Wertschöpfungsbereichen der Bank voraussetzen. Die Agilität der Prozess- und Systemlandschaft, die Flexibilität der Produktentwicklung und der Kundenprozesse werden die entscheidenden Faktoren im Wettbewerb sein.
2. Banken & EU-Taxonomie – die regulatorische Perspektive
Expertinnen und Experten prophezeien, dass Banken ihre Wettbewerbsfähigkeit langfristig nur dann wahren können, wenn sie ihr Geschäftsmodell an den Zeichen der Zeit und somit an den Nachhaltigkeitskriterien ausrichten. Banken, die diese Metamorphose nicht meistern, wird der Verlust der sogenannten „licence to operate“ und somit die Irrelevanz für Kundinnen und Kunden als Finanzdienstleister vorausgesagt.
Dabei darf es nicht um das „Greenwashing“ bestehender Angebote gehen – einheitliche Rahmenbedingungen und Standards werden von der Gesetzgebung als strikte Vorgaben vorausgesetzt, um die Effizienz der Transformation sicherzustellen. Die EU-Taxonomie für grüne Investments beziehungsweise die BaFin-Richtlinien zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken sind klare Vorgaben, an denen sich Banken orientieren müssen. Sie stellen ein detailliertes Klassifizierungssystem für alle Akteure des Finanzsystems dar, mit dem Ziel, Investitionen in ökologisch nachhaltige Aktivitäten zu fördern, die einem von sechs klar definierten Umweltzielen dienen beziehungsweise nicht widersprechen:
- Klimaschutz bzw. Bekämpfung Klimawandel
- Anpassung an den Klimawandel
- Nachhaltige Nutzung Wasser & Meeresressourcen
- Förderung Kreislaufwirtschaft
- Verhinderung Umweltverschmutzung
- Gesundes Ökosystem & Biodiversität – Schutz und Wiederherstellung
Auf diese Weise wird die Umsetzung der EU-Taxonomie für Banken zur Pflicht und beschränkt sich nicht nur auf ein Klassifizierungssystem für nachhaltige Investments. Banken werden verpflichtet, Nachhaltigkeitskennzahlen zu veröffentlichen und eine Taxonomie-Meldung vorzunehmen. Damit verbunden sind die Regeln für mehr Einheitlichkeit und steigende Transparenz. Im Umkehrschluss werden neue Anforderungen an das Reporting, die Produktentwicklung, das Risikomanagement sowie an die IT gestellt, um die Konformität in den einzelnen Fachbereichen sicherzustellen. Eine hohe Datenqualität und Transparenz sowie effiziente IT-Systeme im Melde- und Berichtswesen werden als Hygienefaktoren vorausgesetzt.
3. Das Risikomanagement der Banken muss sich anpassen
Risikomanagement gehört zu den Königsdisziplinen der Finanzwirtschaft. Das Thema Nachhaltigkeit beeinflusst direkt oder indirekt sämtliche Risikokategorien der Finanzbranche. Entsprechend setzt die Regulatorik voraus, dass Finanzdienstleister als Experten für die Bewertung von sogenannten ESG-Risiken (Environmental, Social & Governance) fungieren, verbindliche Anforderungen der BaFin an den Umgang mit Nachhaltigkeitsrisken im Risikomanagement erfüllen und darüber in Prüfungs- und Berichterstattungspflichten Auskunft erteilen. Somit sind Banken angehalten, die größten Risiken des Klimawandels, aber auch sonstige ökologische und soziale Trends und ihre Folgewirkungen auf das Wirtschaftsgeschehen in das Risikomanagement mit einzubeziehen. Die daraus resultierenden Schäden könnten sich laut Schätzungen der BaFin auf weltweit bis zu 550 Billionen US-Dollar summieren und gravierende Finanzrisiken für beaufsichtigte Unternehmen (Banken) darstellen.
Aus Sicht der Banken ergibt sich hieraus unmittelbarer Handlungsbedarf, um bei der Umsetzung der ESG-Vorgaben eine Verzahnung der Risikomanagementsysteme sicherzustellen. Bestehende Risikomanagementprozesse und Methoden müssen entsprechend auf den Prüfstand gestellt und angepasst werden.
4. Nachhaltigkeit aus Sicht der Kundschaft und der Mitarbeitenden
Gesellschaftliche Veränderungen prägen die Erwartungshaltung von Kundinnen und Kunden sowie Mitarbeitenden. Aspekte wie Umweltbewusstsein, Klimaschutz und soziale Verantwortung einer Bank werden das Vertrauen und die Zufriedenheit gegenüber dem Institut signifikant beeinflussen. Entsprechend müssen die Bemühungen für eine langfristige umweltfreundliche Ausrichtung in der Wahrnehmung glaubwürdig und nachvollziehbar zu erkennen sein. Diese Attribute werden in Zukunft die Attraktivität als Finanzdienstleister beziehungsweise Arbeitgeber stark beeinflussen.
Das setzt voraus, dass Banken in puncto Nachhaltigkeit grundlegende Strukturen und Prozesse etablieren sowie konkrete Maßnahmen definieren müssen, um die Glaubwürdigkeit sicherzustellen. Ein reines Lippenbekenntnis ohne erkennbare Bemühungen wird sich im Wettbewerb um eine zufriedene Kundschaft und um talentierte Mitarbeitende als Achillesverse herausstellen.
Fazit
Nachhaltigkeitsthemen gewinnen im Banking zunehmend an Bedeutung und Relevanz. In Verbindung mit neuen Ertrags- und Wachstumschancen, Risikomanagement und Compliance wird das Thema die Branche in Zukunft noch stärker beschäftigen. Auch für Kundinnen und Kunden sowie die Mitarbeitenden wird die Ausrichtung von Finanzinstituten an Bedeutung gewinnen und somit ein entscheidendes Differenzierungsmerkmal im Wettbewerb sein.