26. September 2022 von Vivien Emily Schiller
Stillen und Arbeiten
„Du möchtest nach dem Mutterschutz direkt wieder arbeiten? Dann wirst du wohl nicht stillen?“ Diese Aussage habe ich von fast allen, mit denen ich über meinen Wiedereinstieg gesprochen habe, gehört. Und jedes Mal waren meine Zuhörenden erstaunt über meine Antwort. Vorab: Stillen ist ein sehr sensibles Thema und eine sehr persönliche Angelegenheit. Dieser Erfahrungsbericht soll keine Wertung über das Stillen oder Alternativen oder den Zeitpunkt des Wiedereinstiegs darstellen, sondern lediglich eine Möglichkeit aufzeigen, wie Arbeiten und Stillen funktionieren kann, wenn der Wunsch besteht, beides zu tun. Ich verfasse diesen Bericht, da ich persönlich auf wenig Erfahrungsberichte zurückgreifen konnte.
Rechtliche Grundlagen
Die rechtlichen Grundlagen zum Stillen und Arbeiten finden sich im Mutterschutzgesetz und in der Arbeitsstättenverordnung. Zunächst ist es wichtig zu wissen, dass auch nach der Rückkehr aus dem standardmäßigen achtwöchigen Mutterschutz nach der Geburt weiterhin der gleiche Mutterschutz wie mit der Verkündung der Schwangerschaft besteht. Dazu zählen auch folgende Punkte:
1. Der Arbeitgeber hat eine Frau für die Zeit freizustellen, die zur Durchführung der Untersuchungen im Rahmen der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung bei Schwangerschaft und Mutterschaft erforderlich sind. Entsprechendes gilt zugunsten einer Frau, die nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert ist.
2. Der Arbeitgeber hat eine stillende Frau auf ihr Verlangen während der ersten zwölf Monate nach der Entbindung für die zum Stillen erforderliche Zeit freizustellen, mindestens aber zweimal täglich für eine halbe Stunde oder einmal täglich für eine Stunde. Bei einer zusammenhängenden Arbeitszeit von mehr als acht Stunden soll auf Verlangen der Frau zweimal eine Stillzeit von mindestens 45 Minuten oder, wenn in der Nähe der Arbeitsstätte keine Stillgelegenheit vorhanden ist, einmal eine Stillzeit von mindestens 90 Minuten gewährt werden. Die Arbeitszeit gilt als zusammenhängend, wenn sie nicht durch eine Ruhepause von mehr als zwei Stunden unterbrochen wird.
Eine schwangere und stillende Frau darf zudem laut Mutterschutz nicht mehr als 8,5 Stunden am Tag arbeiten.
Weiterhin wird in der Arbeitsstättenverordnung beschrieben, wie ein geeigneter Stillraum auszusehen hat.
1. Werden schwangere Frauen oder stillende Mütter beschäftigt, müssen Einrichtungen zum Hinlegen, Ausruhen und Stillen am Arbeitsplatz oder in unmittelbarer Nähe in einer Anzahl vorhanden sein, die eine jederzeitige Nutzbarkeit sicherstellt. Die Privatsphäre ist bei der Nutzung zu gewährleisten.
2. Die Einrichtungen zum Hinlegen, Ausruhen und Stillen müssen gepolstert und mit einem wasch- oder wegwerfbaren Belag ausgestattet sein.
An den Raum selbst werden folgende Anforderungen gestellt:
- Eine Größe von mindestens sechs Quadratmetern
- Hintergrundgeräusche von 55 dB
- Keine „Betriebsstörungen“
- Sichtverbindung (Fenster) nach außen – hier gibt es äquivalente Mussanforderungen an Aufenthaltsräume aus den Landesbauordnungen
- Möglichst ausreichend Tageslicht und ausreichende Beleuchtung
- Gesundheitlich zuträgliche Raumtemperatur von mindestens +21 Grad Celsius bis zu einer Soll-Temperatur von +26 Grad Celsius
- Gesundheitlich zuträgliche Atemluft – beispielsweise durch Lüftungsmöglichkeiten oder technische Raumlüftung
- Gewährleistung der Privatsphäre bei der Nutzung des Raums
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine Toilette oder eine dunkle (Abstell-)Kammer kein geeigneter Raum ist und keine Lösung darstellt, die angeboten werden darf. Bei diesen Anforderungen handelt es sich um eine Mussvorschrift und sie stellt damit eine verbindliche Forderung an den Arbeitgeber zur Gestaltung der Arbeitsstätte dar.
Stillen bei adesso
Es war schnell klar, dass nur wenige Räume diese Anforderungen in der Geschäftsstelle Dortmund erfüllen. Open-Space-Arbeitsplätze und eine offene Raumgestaltung sind zum Stillen und Arbeiten leider einfach ungeeignet. Die offenen Konferenzräume sind für Besprechungen super, aber leider auch für diese Situation nicht praktikabel. Neben den oben genannten Anforderungen ergeben sich aber natürlich noch weitere Bedarfe. So ist es zum Beispiel hilfreich, wenn sich zum Reinigen der Utensilien ein Waschbecken in der Nähe des Raumes (oder sogar im Raum) befindet. Weiterhin ist es sinnvoll, ein eigenes Stillbüro einzurichten, damit dort die Utensilien gelagert werden können. Und nicht nur das Equipment, sondern auch die Muttermilch in einem separaten Kühlschrank. Eine konstante und diskrete Kühlung ist hierbei garantiert und wird durch keine weiteren Mitarbeitenden beeinflusst.
Ein eigener Raum bietet nicht nur die Möglichkeit, die (elektrische) Pumpe, sondern auch weitere Utensilien, wie (Feucht-)Tücher und Wechselkleidung, zu lagern. Weiterhin ist so mehr Flexibilität für die Zeiten des Stillens gegeben. Unter Umständen geht mal ein Termin länger oder man wird angerufen und die Stillzeiten verschieben sich um wenige Minuten. Müsste man einen Raum buchen, so kann es sein, dass die Zeit bis zur nächsten Belegung nicht mehr ausreicht. Zudem müsste man mit einer riesigen Reisetasche hin- und herlaufen. Außerdem kann ein eigenes Büro jederzeit abgeschlossen werden, damit niemand aus Versehen reinplatzen kann.
Eltern-Kind-Büro als Alternative?
Eltern-Kind-Büros können eine Notlösung darstellen, eignen sich meiner Meinung nach jedoch nicht als Dauerlösung. Zum einen werden Eltern gegen Stillende ausgespielt, die den Raum nutzen möchten. Zum anderen gerät eine stillende Mutter mit der Zweckentfremdung in Erklärungszwang, weil sie ohne Kind das Eltern-Kind-Büro belegt. Weiter gibt es dadurch keine Planungssicherheit, falls das Büro doch belegt ist. Die Privatsphäre kann unter Umständen nicht zu jedem Zeitpunkt gewährleistet werden. Dann können Sorge und Stress aufkommen wie: „Wo lagere ich die Sachen? Wo kann ich mich umziehen, wenn doch mal was danebengeht? Muss ich dann erst mal durch die Geschäftsstellen rennen mit allen Klamotten und Utensilien?“ … Die Liste ließe sich weiter fortsetzen und der Mental Load steigt weiter.
Weiterhin bietet das Eltern-Kind-Büro zwar die Möglichkeit, sich räumlich, aber nicht gedanklich von seinem Kind zu trennen. So könnte sich eine stillende Frau im „Kinderzimmer“ mit den Kindersachen auf der Arbeit damit konfrontiert sehen, immer daran zu denken, dass sie nicht bei ihrem Kind ist. Was gerade in den ersten Monaten der Umstellung eine mentale Last sein kann.
Meine persönliche Erfahrung
Ich persönlich möchte in der Rolle als Arbeitskraft und nicht in der Mutterrolle zur Arbeit erscheinen. Remote zu arbeiten, kam leider nicht in Frage, daher haben wir eine Lösung fernab des Eltern-Kind-Büros gefunden. Ich möchte mich auf meine Arbeit fokussieren, mein Kind stillen, Planungssicherheit und den geringsten logistischen Aufwand haben.
Mir war es sehr wichtig, eine gute gemeinsame Lösung zu finden und nicht in die Bredouille zu kommen, mich für das Abstillen zu entscheiden, weil ich mich nicht wohlfühle. Dies wäre eine Belastung gewesen, mit der ich mich nicht wohlgefühlt hätte.
Das Eltern-Kind-Büro wurde von mir übergangsweise genutzt, da es mir jedoch von außen sehr einsichtig war, saß ich dort auch an graueren Tagen mit heruntergefahrenen Jalousien. Meist habe ich dann auch wieder vergessen sie hochzufahren und so saß ich dort den ganzen Tag ohne Tageslicht. Zudem habe ich mich dort neben den Spielsachen nicht wohlgefühlt.
Mein Job macht mir unfassbar Spaß und für mich war es die richtige Entscheidung, wieder arbeiten zu gehen. Trotzdem habe ich Gefühle und vermisse natürlich mein Kind. In einem Kinderzimmer zu sitzen hätte den Wiedereinstieg nicht erleichtert.
Für alle war diese Situation neu. Doch glücklicherweise haben wir zusammen eine tolle Lösung für ein Stillbüro gefunden. Unsere Standortverwaltung hat alles Mögliche in ihrer Macht getan, um mir den Wiedereinstieg zu erleichtern. Ein weiterer Vorteil, wie sich im Nachgang rausstellte, war, dass in dem kleinen Büro auch eine eigene Heizung ist und ich endlich bei einer mir angenehmen Raumtemperatur arbeiten konnte. Für das Stillen an sich war dies ebenfalls ein Vorteil. Dinge, an die man vorher nicht gedacht hat.
Mit meinem Job sind aber auch Reisen verbunden. In manchen Geschäftsstellen gibt es keinen einzigen uneinsichtigen Raum, außer die Toilette. An manchen Orten kannte ich mich gar nicht aus und musste vorab Leute fragen, ob es einen Raum oder eine Möglichkeit gäbe, mich zum Stillen zurückzuziehen. Ich hätte (auf Reisen) immer heimlich auf die Toilette verschwinden können, um das Thema nicht adressieren und kommunizieren zu müssen. Aber meiner Meinung nach sollte sich die Gesellschaft mit diesen Themen auseinandersetzen, wenn wir stillenden Müttern einen schnellen Wiedereinstieg ermöglichen und ihnen signalisieren möchten, dass sie willkommen sind, und zeigen, dass sie sich nicht zwischen Arbeit und Stillen entscheiden müssen.
Trotzdem muss ich sagen, dass es einen großen logistischen Planungsaufwand bedeutet, wenn man sich für diesen Weg entscheidet. Stillpausen lassen sich im Zweifel nicht verschieben, wenn der Terminkalender bereits mit Terminen überläuft. Daher kann ich nur raten, die Zeiten bereits vor der Rückkehr an den Arbeitsplatz im Kalender grob zu blockieren.
Ein weiterer Tipp wäre, schon vor der Rückkehr einen Vorrat an Stillnahrung anzulegen. Es kann passieren, dass das Kind doch mal mehr Hunger hat oder man mal keine Möglichkeit zum Kühlen hat, die Portion weggekippt werden muss und somit nicht am nächsten Tag zum Einsatz kommen kann.
In Summe kann ich zusammenfassen, dass Stillen und Arbeiten funktionieren kann: Es bedarf Teamwork mit dem Partner oder der Partnerin und offene Ohren der Ansprechpartner und Ansprechpartnerinnen vor Ort, aber auch noch viel Mut und Planung. Das Teamwork mit meinem Partner hat fantastisch funktioniert, unser Standortverwaltungsteam hat mir den Wiedereinstieg sehr erleichtert und der Mut und die Planung kamen ganz von selbst. Falls ihr weitere Fragen habt, könnt ihr euch gerne jederzeit an mich wenden.