18. Dezember 2019 von Jürgen Angele
Regeln sind auch Künstliche Intelligenz
Zuerst einmal die Frage: Was ist Künstliche Intelligenz (KI) ganz allgemein? Leider existiert keine wirklich gute und griffige Definition davon. Im Gegensatz dazu, dass wir einen Data von Raumschiff Enterprise konstruieren (sogenannte starke KI) geht es bei der schwachen KI darum, Methoden der Künstlichen Intelligenz einzusetzen, um Prozesse bei unseren Kunden zu verbessern. Ich erkläre eine schwache KI immer mit dem Satz: Künstliche Intelligenz ahmt das Verhalten von Menschen nach, für das diese Intelligenz benötigen. Ein zentrales Konzept der Künstlichen Intelligenz sind dabei Modelle, die eben gerade diese „Intelligenz“ enthalten. Solche Modelle können durch Maschinelles Lernen entstehen oder eben auch explizit von Menschen formuliert (beziehungsweise modelliert) werden. Regeln werden genutzt, um bestimmte Teile solcher Modelle zu formulieren.
Regeln sind nicht gleich Regeln
Was sind Regeln genau? Der Begriff „Regeln“ wird sehr vielfältig benutzt. Neben dem allgemeinen sprachlichen Regelbegriff, existieren im technischen Umfeld Regeln zur Analyse von Texten - etwa Ruta-Regeln, Produktionsregeln sowie unterschiedliche Arten von logikbasierten Regeln. Auf letztere werde ich im Verlauf meines Beitrags noch genauer eingehen.
Wird von Regeln in der IT gesprochen, sind in den meisten Fällen Produktionsregeln gemeint, die in Businessregelsystemen verwendet werden. Diese stammen aus den Expertensystemen der 70er Jahre und sind deshalb eine Methode der KI. Heute gibt es allerdings zahlreiche Anbieter, die Regelsysteme dieser Art vertreiben. Ursprünglich war es beabsichtigt, dass solche Regeln von Fachleuten formuliert werden. Der Fokus hat sich allerdings geändert und diese Art von Regeln werden inzwischen als IT-Werkzeug betrachtet.
Kommen wir nach diesem kleinen Exkurs zurück zu den logikbasierten Regeln. Prädikatenlogik ist eine sehr wohldefinierte mathematische Disziplin. Hier werden verschiedene Teilmengen von Prädikatenlogik - etwa Aussagenlogik, Hornlogik, Beschreibungslogik oder Datalog - unterschieden, die eine unterschiedliche Ausdruckskraft besitzen. Für alle diese Teilmengen ist die Bedeutung jeweils eindeutig und formal definiert.
Die ausdrucksstärksten Regeln sind Hornlogik-Regeln. Während Datalog nur Aussagen über endliche Modelle machen kann, können Hornlogik-Regeln alles ausdrücken, was auf einem Computer erklärbar ist (Turing-Vollständigkeit). Die schwächste Ausdruckskraft haben Aussagenlogik-Regeln. Diese sind vergleichbar zur Ausdruckskraft von SQL.
Hornlogik-Regeln und deren Operationalisierung spielen innerhalb der Künstlichen Intelligenz eine wichtige Rolle. Im Rahmen der damals beginnenden Forschung zur Künstlichen Intelligenz entwickelten Herb Simon, J.C. Shaw und Allen Newell 1959 den General Problem Solver (GPS). Dabei handelte es sich um eine Software zur Realisierung einer allgemeinen Problemlösungsmethode, die auf Prädikatenlogik basiert. Die Annahme war, dass sich jedes Problem als eine Menge von prädikatenlogischen Formeln beschreiben lässt und dann durch den General Problem Solver gelöst werden kann. Dies funktioniert auch für einfachere Probleme – etwa im Fall des mathematischen Knobel- und Geduldsspiels „Die Türme von Hanoi“. Der GSP stößt aber bei komplexeren Problemstellungen schnell an seine Grenzen, denn deren Lösungen können oft sehr schnell kombinatorisch explodieren.
Allerdings wurde 1976 mit einem nachfolgenden Theorembeweiser, basierend auf allgemeinen prädikatenlogischen Formeln, das Vier-Farben-Problem bewiesen. Dieser mathematische Satz, der zuvor von keinem Menschen bewiesen werden konnte, besagt, dass vier Farben immer ausreichen, um eine beliebige Landkarte so einzufärben, dass keine zwei angrenzenden Länder die gleiche Farbe bekommen. Übrigens: Bei einem Theorembeweiser handelt es sich um maschinengestütztes Beweisen, das auf der Verwendung von Computerprogrammen zur Erzeugung und Überprüfung von mathematischen Beweisen logischer Theoreme basiert.
Wie sieht es heute aus?
Heutzutage konzentrieren sich die Systeme auf Hornlogik oder auf das schwächere Datalog. Solche Systeme wurden speziell im Bereich des Semantic Webs weiterentwickelt und gelten im Vergleich zu Businessregelsystemen als moderne Regelsysteme. Sie sind in der Lage, auch mit großen Datenmengen umzugehen. Businessregelsysteme agieren wie ein Computerprogramm. Vereinfacht erklärt: Eine gewisse Menge von Inputfakten werden vorgegeben, anschließend läuft das Regelprogramm durch und heraus kommt eine bestimmte Menge von Outputfakten. Dagegen werden Datalog-Regeln in deduktiven Datenbanken eingesetzt. Ähnlich wie bei Datenbanken können hier Anfragen gestellt werden, die wiederum aus den gespeicherten Daten und den Regeln beantwortet werden. Wichtig dabei ist, dass Regeln in solchen Systemen nicht als Mittel der IT verstanden werden. Vielmehr sollten Fachexpertinnen und Experten in der Lage sein, solche Regeln zu formulieren.
Aus diesem Grund wurde in den 90er Jahren ausgiebig an einer verständlichen Syntax von solchen Regeln gearbeitet - dazu gehört beispielsweise die F-Logik-Syntax. In diesem Zusammenhang entstanden auch Entwicklungssysteme für Ontologien und Regeln - etwa OntoEdit oder OntoStudio. Regeln können übrigens auch gelernt werden. Um dieses „Lernen“ zu ermöglichen, wurden Verfahren wie zum Beispiel FOIL entwickelt.
Regeln und ihre Vorteile
Ganz allgemein bietet die Nutzung von Regeln viele Vorteilen: Sie separieren die Business-Logik von Computerprogrammen sowie von Daten und machen diese Business-Logik damit explizit. Sie sind - in den modernen Formen - verständlich für Fachexpertinnen sowie Fachexperten und können deshalb von ihnen formuliert und gewartet werden. Sie sind konfigurierbar, sie werden von den Regelsystemen ähnlich wie Daten geladen und sind deshalb flexibel und schnell änderbar.
Es gibt zahlreiche Beispiele dafür, dass solche Regeln durch Expertinnen und Experten erzeugbar und wartbar sind. In der Vergangenheit habe ich beispielsweise ein entsprechendes Projekt bei der Firma Voith - das Unternehmen baut unter anderem Wasserkraftwerke - betreut. Ein Wasserkraftwerk ist ein sehr komplexes System mit sehr vielen Abhängigkeiten. Aus diesem Grund wurde in diesem Projekt ein regelbasiertes System entwickelt, das Regeln enthält wie „Wenn ein Wasserkraftwerk im Urwald gebaut wird, dann muss es starke Filter enthalten, weil das Wasser verschmutzt sein kann.“. Durch Regeln wie diese können dann viele Fehler bei Angebotsprozessen verhindert werden. Hätte die Firma, die mein Fertighaus gebaut hat, die Regel: „Wenn eine elektrische Jalousie verwendet wird, muss ein Elektrokabel zur Jalousie geführt werden.“ verwendet, wäre dieser Firma viel Geld und mir viel Ärger erspart geblieben.
Hornlogik-Regeln werden im Banking-Bereich bei adesso für das Matching von Zahlungen, Wissensmodelle, wissensbasierte Erzeugung von Antworten und wissensbasierte Dialogführung bei Chatbots eingesetzt. Wissensmodelle dienen dabei auch zur semantischen Informationsintegration unterschiedlicher Informationsquellen wie Datenbanken oder REST Services. Zudem ist in diesem Zusammenhang ein Entwicklungssystem für Ontologien mit Regeln (OMS Ontology Modeling System) in Arbeit.
Fazit
Innerhalb der Prozesse unserer Banking-Kunden existieren viele manuelle Schritte, bei denen zahlreiche Fakten und (implizit) regelhafte Zusammenhänge von den Bearbeiterinnen und Bearbeitern genutzt werden. Im Sinne dessen, dass mit Künstlicher Intelligenz manuelle Schritte simuliert werden sollen, für die ein Mensch „Intelligenz“ benötigt, sind Regeln eine Methode der Künstlichen Intelligenz.
Ich hoffe, dass ich erklären konnte, was Regeln mit Künstlicher Intelligenz zu tun haben und welche Vorteile der Einsatz solcher Regeln hat. Wenn ihr mehr zu spannenden adesso-Themen erfahren möchtet, werft auch einen Blick in unsere bisher erschienenen Blog-Beiträge. Wenn ihr wissen wollt, was adesso alles im KI-Umfeld umsetzt, werft auch einen Blick auf unsere Website.