2. Dezember 2020 von Sascha Aebi
Culture eats agility for breakfast – oder warum es Agilität oft noch schwer hat
Im Sinne von IKEA eine Fragestellung vorneweg: Digitalisiert ihr noch oder transformiert ihr schon? Beiderlei sind zukunftsgerichtete, kundenzentrierte Vorhaben, welche aber einen gemeinsamen Nenner haben: Sie brauchen beide eine passende Kultur. Denn wenn Unternehmen diese nicht mitbringen, dann ergeht es ihnen wie den anderen Big-Fails der heutigen Zeit. Aber zuerst einmal der Reihe nach…
Schlagworte wie: Agilität, Intrapreneurship, Kundenzentrierung, Scaled Agility Framework oder gar das agile Manifest sind Bestrebungen namhafter Unternehmen, meist aus einem angestaubten Verwaltungsapparat wieder eine flexible Garage Inc. zu zaubern. Aber warum sollte man das wollen? Denn umgekehrt würde ein Start-Up seine harten Anfangsjahre gerne gegen einen stabilen Milliardenumsatz eines angestaubten Unternehmens tauschen wollen? So gesehen haben diese Protagonisten eine gewisse Gemeinsamkeit: Das Streben nach wirtschaftlichem Erfolg und absoluter Kundenorientierung.
Culture eats strategy for breakfast – Die Parallelen zur Agilität
Der Ökonom Peter Drucker formulierte mit diesem Satz eigentlich die Beziehungen zwischen Innovation, Strategie und Kultur und dass sich diese wechselseitig beeinflussen. Aber wenn man sich diesen Satz 20 Jahre später im Zusammenhang mit der Agilität überlegt, so lassen sich gewisse Parallelen erkennen.
Heute finden auf verschiedene Weisen Wechsel der IT-Organisationen in Richtung Agilität statt. Damit sollen das fachliche Know-how und die Wirtschaftlichkeit gefördert, aber auch die Kluft zwischen Fach- und IT-Abteilungen überwunden werden. Ob dazu tatsächlich ein agiles Manifest aus dem Jahr 1999 notwendig ist, sei jedem erfahrenen IT-Experten eines Rapid Prototyping oder Extreme Programming (1990) überlassen.
Wenden wir uns wieder den heutigen Problematiken zu: Warum verpuffen gute Ideen? Und warum tun sich gestandene Firmen mit der Agilität derart schwer? Warum brauchen Mitarbeitende überhaupt Anreize, um neue Ideen zu generieren und dem Vorgesetzten zu melden? Vielleicht weil der administrative Verwaltungsapparat und die jahrelange Führungskultur nicht auf rasche Veränderungen und Verbesserungen ausgerichtet sind? Vielleicht, weil schon das Ideenmanagement meist über einen langwierigen Prozess von Analysegremien, mehrstufige Freigaben und subjektive Feedbacks geprägt wird. Denn mal ehrlich, die wenigsten Führungspersonen stehen einer internen Verbesserung aus den eigenen Reihen wirklich neutral gegenüber. So scheint es leicht verständlich, dass sich manch Mitarbeitender wie Don Quijote im Kampf gegen Windmühlen fühlt und nach einiger Zeit den einfacheren Weg ohne Widerstand und Exposition fortwählen mag.
Im Zusammenhang mit langwierigen Prozessen, subjektiver Wahrnehmung und aufkommender Resignation taucht immer wieder der Begriff der Unternehmenskultur auf. Für die einen mag dieser ein wesentlicher Erfolgsfaktor des heutigen Change Managements sein, für die anderen bleibt es unkonkretes Geschwätz. Das Fachgebiet der Unternehmenskultur geniesst ein polarisiertes Dasein und bringt wie kaum ein anderes Thema eine Höchstzahl an Expertinnen und Experten hervor.
Low hanging Fruits? Die IT als Tätigkeitsbereich für einen Agilitätsversuch
Stützt man sich auf alte Definitionen einer Unternehmenskultur, fallen die Bereiche Werte, Verhalten und Engagement vollständig auf diesen Bereich. Also alles Attribute, welche die Agilität heutzutage über die Agilität gerne erweitern und verstärken möchte. Nimmt man es mit der Aussage von Peter Drucker sehr genau, dann erkennt man die zwingenden Abhängigkeiten aller Faktoren zueinander. Da die agilen Methoden wie Scrum jedoch nur auf Teilprozesse und das Verhalten bestimmter IT-Aktivitäten abzielen, erscheint es nicht wunderlich, dass die wirklich guten Ideen und die kulturelle Glaubwürdigkeit darunter verpuffen. An einem Beispiel aus der Branche des öffentlichen Verkehrs wird das deutlicher: Nur weil man den Speisewagen etwas hübscher gestrichen hat, läuft nicht automatisch der ganze Zug besser oder erreicht dadurch eine bessere Pünktlichkeit! Vielleicht fühlen sich die Leute im Speisewagen etwas wohler, aber sobald sie aus dem Restaurant wieder auf ihren Plätzen sind, scheint die Windmühlensituation unverändert. Da die IT per se gerne Dinge ausprobiert und aufgrund ihrer Arbeit sehr flexibel ausgerichtet werden kann, ist sie als Tätigkeitsbereich für einen Agilitätsversuch («Low hanging Fruits») natürlich sehr geeignet.
Agilität ist kein IT-Trend, sondern gehört zur Unternehmenskultur!
Bereits im letzten Jahrhundert wurden unter dem Begriff „Human Relations“ Programme für den regelmässigen Austausch der Belegschaft und gesellige Events entworfen. Das Thema des Betriebsklimas war schon damals als wichtig erachtet worden, weil die Fehlerquote in den Produkten nachweislich sank und die Zusammenarbeit über die Prozesse effizienter von statten ging. Erst in den 70er- und 80er-Jahren wurden aus fernöstlichen Industrieprozessen neue Managementmethoden entwickelt, die über Consultants den weiten Weg in den industrialisierten Westen fanden. Doch die westlichen Manager mussten zuerst verstehen, welche Soft-Factors den Unterschied zwischen der östlichen und westlichen Arbeitswelt ausmachten, damit sich ähnliche Erfolge einstellten. So wurden zunächst Unterschiede in Bezug auf die Loyalität, dem sozialem Gefüge, aber auch den vorherrschenden Wertvorstellungen sträflich vernachlässigt. Erst mit den Erweiterungen der Organisations- und Führungslehre, der Verknüpfung mit der Organisationspsychologie und der Ausbildung unterschiedlicher Führungstypen wurden diese Versäumnisse über Fachkräfte aufgeholt. Noch heute setzen sich zahlreiche Fachleute mit der Frage auseinander, welche kritischen Faktoren sogenannte Dream Teams genau ausmachen und inwiefern diese über verschiedenen Branchen reproduzierbar sind.
Ist es so einfach? Lassen sich die Faktoren analysieren und damit eine Kultur kopieren?
Im Grunde JA! – sofern man sich nicht stur an die Lehren und Ratschläge von Consultants hält. Die Geschichte jeder Firma prägt deren gelebte Kultur, die Ablauforganisation, den praktizierten Führungsstil und emotionale Diversität. Eine Unternehmenskultur ist also eine Ansammlung von Traditionen, gepaart mit individuellen Wertvorstellungen und institutionellen Rahmenbedingungen.
So könnte man eine Unternehmenskultur auch als eine Art Handlungsmuster beschreiben, welches das Zueinander prägt und die Wirtschaftlichkeit organisatorisch beeinflusst. Aber aufgepasst: Wenn eine Firma die Titanic wäre, dann sieht sie immer nur die Spitze der Kultur (aka des Eisbergs). Denn was auch immer wir als Leitbild veröffentlichen, auf Meetings in Powerpoints verlauten lassen – es muss nicht zwingend mit dem Gelebten 1:1 übereinstimmen und kann zur Unglaubwürdigkeit führen. Wir alle kennen das Sprichwort „Wasser predigen, Wein trinken“. Aber auch hier kann ein altes Lehrstück aus den 80-ern (nämlich von J.P. Kotter) gute Ansätze beisteuern: Leadership! Mit gutem Beispiel vorangehen, Walk-the-Talk.
Heutzutage die DU-Form einzuführen, die Krawattenpflicht abzuschaffen und mehr in Richtung TGIF oder Casual Friday, sind sicher gute Schritte in Richtung Garage Inc. Aber im Grundsatz haben sie der kulturellen Revolution noch wenig geholfen, solange alle wichtigen Prozesse - Controlling, Prozess Management, Ideen Management, Projekt Management etc. - noch nach den alten Mustern verlaufen. Solange die oberen Etagen unverändert mit Denkmustern wie „Command and Conquer“ und Shareholder Values arbeiten, werden es flexible Startup-Prozesse immer schwer haben. Natürlich kann ein Multimilliarden-Business nicht wie eine KMU geführt werden (selbst Amazon oder Google haben Respekt davor) aber ein angepasster Mix zwischen Flexibilität, Kundenorientierung und ständiges Neuerfinden seiner selbst scheint zumindest möglich zu sein.
Und wie macht man es richtig mit der Agilität?
Fakt ist, um Agilität richtig einzuführen und interne Prozesse damit zu verbessern, führt kein Weg an der Unternehmenskultur vorbei. Die gelegten inneren Werte, die Feedbacks von Mitarbeitenden, das Vorleben der Unternehmensstrategie und die Würdigung des Kunden und Mitarbeiters zeigen den Umriss eines kulturellen Titanic-Eisbergs. Ist man mit voller Fahrt in dessen Richtung unterwegs, tun Korrekturen sicherlich bald Not. Aber wenn man sich in freien Südseegewässern aufhält, dürfe eine kulturelle Anpassung kein Mammutprojekt auferlegen. Weniger Bürokratie, mehr offene Ohren und spontane Lösungen (Walk-the-Talk) sind heutzutage der Schlüssel zum gewünschten Garage-Inc-Erfolg.
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