8. Februar 2022 von Robert Völkner
Vision Videos als Stützpfeiler für Softwareentwicklungsprojekte
Eines der Hauptmerkmale für ein erfolgreich abgeschlossenes Softwareentwicklungsprojekt ist, dass das Endprodukt den Kundenerwartungen entspricht. Um dies zu erreichen, müssen die Konzepte und Wünsche, die der Kunde bezüglich der Software besitzt, mit dem Projektteam kommuniziert und von diesem technisch umgesetzt werden. Die Kommunikation zwischen allen am Projekt beteiligten Personen ist dabei der Schlüssel zum Erfolg. Vision Videos können hierbei durch visuelle Unterstützung an den Stellen helfen, wo es durch rein sprachliche Kommunikation leicht zu Missverständnissen und Fehlern kommen kann.
Was sind Vision Videos?
Im Allgemeinen bezeichnet der Begriff „Vision Video“ eine Art von Video, die eine Vision oder Teile einer Vision repräsentiert. Das Ziel besteht darin, zwischen allen beteiligten Personen ein gemeinsames Verständnis bezüglich der präsentierten Vision zu erzeugen. Im Kontext von Softwareentwicklungsprojekten bezieht sich die im Video dargestellte Vision dabei meist auf das Produkt, das durch das Projekt erzeugt werden soll. Zu den beteiligten Personen zählen hierbei in erster Linie der Kunde, für den die Software entwickelt werden soll, und das Entwicklerteam, das mit der Erzeugung der Software beauftragt wird.
Häufig stellt sich jedoch die Frage, was genau in einem solchen Vision Video dargestellt werden soll und wie dadurch die Vision repräsentiert wird. Während es hierfür strenggenommen keine konkrete Vorschrift gibt, hat sich die Darstellung der zu entwickelnden Software in einem konkreten und typischen Nutzungsszenario bewährt. Hierbei sollte zunächst eine möglichst reale Nutzungsumgebung präsentiert werden, in welcher der User die Software verwendet, um dem Kunden eine glaubwürdige und realitätsnahe Situation zu vermitteln.
Der primäre Fokus des Vision Videos sollte jedoch auf den Funktionen liegen, die durch die Software bereitgestellt werden. Hierbei gilt klar das Prinzip: „Show, don’t tell!“. Anstatt zu sagen, was die Software alles können wird, ist es wesentlich effektiver, dem Betrachtenden zu zeigen, was sie kann, indem die Interaktion des Nutzers mit der Software dargestellt wird. Da die Software zum Zeitpunkt der Produktion des Vision Videos jedoch im Regelfall noch nicht existiert, kann sie durch ein Dummy Mock-up ersetzt werden. Die Erzeugung eines solchen Dummy Mock-ups ist hierbei durch diverse Open Source Tools spielend leicht und mit wenig Aufwand möglich.
Im Kontext der Softwareentwicklung können Vision Videos zu so gut wie jedem Zeitpunkt eine Bereicherung für den Softwareentwicklungsprozess sein. Um dies zu verdeutlichen, stellt die folgende Abbildung beispielhaft einen klassischen Entwicklungsprozess anhand eines V-Modells dar.
Hierbei sind die einzelnen Schritte des Entwicklungsprozesses in Blau und Beispiele für Vision Videos (VV) in Grün dargestellt. Durch die Abbildung wird verdeutlicht, dass Vision Videos auf Basis einer Beschreibung produziert und anschließend dazu verwendet werden können, den nächsten Schritt des Softwareentwicklungsprozesses zu unterstützen. Zusätzlich können sie als Kontrolle dienen, da anhand der Vision Videos die Ergebnisse des Entwicklungsprozesses überprüft werden können. Als Beispiel hierfür wird aus der anfänglichen Problemstellung ein Problemszenario in einem Vision Video dargestellt. Anhand des Vision Videos können dann zunächst die Anforderungen entwickelt und gegen Ende des Projekts die Funktionen des Systems überprüft werden.
Werbevideos versus Vision Videos: Wo liegt der Unterschied?
Euch ist vielleicht schon aufgefallen, dass Vision Videos von einem konzeptionellen Standpunkt aus viele Ähnlichkeiten zu Werbevideos besitzen. Sie werden daher fälschlicherweise oft mit diesen verwechselt oder gar gleichgesetzt. Es existieren jedoch zwei essenzielle Unterschiede, die Vision Videos von Werbevideos abheben: die Zielsetzung und die Kosten. Während Werbevideos im Allgemeinen dazu dienen, Kunden zur Entscheidung für den Kauf des dargestellten Produktes zu bewegen, dienen Vision Videos dem primären Ziel, die Kommunikation zwischen den an einem Projekt beteiligten Personen durch eine visuelle Darstellung zu unterstützen. Nicht ohne Grund werden andere visuelle Darstellungen – etwa verschiedene Diagramme und Modelle schon seit langer Zeit dazu verwendet, Konzepte und Ideen zu vermitteln. Videos sind hierbei lediglich der nächste logische Schritt, frei nach dem Motto: Wenn Bilder schon mehr als tausend Worte sagen, wie viel kann man dann wohl durch ein Video ausdrücken?
Durch die Unterschiede in der Zielsetzung ergibt sich auch für die Kosten der Produktion eines Vision Videos im Verhältnis zu Werbevideos ein immenser Unterschied. Da Vision Videos nicht darauf abzielen müssen, das von ihnen dargestellte Produkt zu verkaufen, sondern als technische Hilfestellung für die Kommunikation innerhalb eines Projekts dienen, werden keine kostenintensiven Kamerateams oder Videoproduzenten benötigt. Vision Videos können nach heutigem Stand der Technik bereits mit einer normalen Smartphone-Kamera und einem Stativ aufgenommen werden und mit einem einfachen Open-Source-Schnitttool bearbeitet werden. Der Zeitaufwand begrenzt sich hierbei auf wenige Arbeitsstunden.
Vorteile und Chancen
Nach den ganzen Erklärungen, was ein Vision Video ausmacht, fragt ihr euch vielleicht, was für konkrete Vorteile es mit sich bringt, ein solches Vision Video zu produzieren.
Der primäre Vorteil liegt hierbei, wie bereits erwähnt, in der visuellen Unterstützung der Kommunikation zwischen am Projekt beteiligten Personen. In der Regel ist es wesentlich einfacher, Konzepte und Ideen zu kommunizieren, wenn man sie auf einer Basis aufbauen kann. Ein Vision Video einer zu entwickelnden Software kann als eine solche Diskussionsbasis dienen, anhand der Ideen verdeutlicht und potenzielle Missverständnisse geklärt werden können. Eine besondere Chance ergibt sich hierbei für internationale Projektteams, bei denen es durch sprachliche und kulturelle Unterschiede leicht zu Missverständnissen kommen kann. Vision Videos können hier helfen, die sprachlichen und kulturellen Barrieren zu überwinden, da visuelle Medien unabhängig von Sprache universell verständlich sind.
In diesem Zusammenhang haben Vision Videos das Potenzial, mit geringer Investition hohe Fehlerkosten zu vermeiden, die aufgrund von anfänglichen Missverständnissen oder fehlerhafter Kommunikation zwischen dem Kunden und dem Entwicklerteam erst später im Projektzyklus erkannt werden.
Auch für den Entwicklungsprozess der Software bieten Vision Videos Vorteile. Sobald ein Vision Video erstellt wurde, das die Vorstellungen und Wünsche des Kunden widerspiegelt, kann dieses vom Entwicklerteam genutzt werden, um daraus Arbeitspakete abzuleiten. Hierbei hilft die visuelle Darstellung des Produkts, um die Funktionen der Software zu konkretisieren. Darüber hinaus kann ein Vision Video bei Rückfragen an den Kunden als Referenz dienen.
Da Vision Videos in der Regel mit geringem Kosten- und Arbeitsaufwand produziert werden können, eignen sie sich ideal für agile Projekte. Durch den im Allgemeinen dynamischen Charakter von agilen Projekten sind diese in der Regel anfällig für Änderungen in Bezug auf die Umsetzung von Ideen und Konzepten. Eine solche Änderung von Konzepten kann unter Verwendung von Vision Videos schnell und kostengünstig visualisiert werden. In diesem Zusammenhang ist es ebenfalls möglich, dass notwendige Änderungen erst durch die Visualisierung mithilfe eines Vision Videos erkannt oder sogar komplett neue Ideen durch das Vision Video erzeugt werden.
Fallbeispiel: Vision Videos im Kontext von Versicherungen
Da die vorherigen Ausführungen sehr theorielastig waren, folgt nun ein kleines Fallbeispiel, das den Nutzen von Vision Videos im Kontext von Versicherungen veranschaulichen soll. Der Verlauf dieses Fallbeispiels wird dabei von der folgenden Abbildung dargestellt:
In diesem Beispiel möchte ein Versicherer potenziellen Kundinnen und Kunden die Möglichkeit bieten, eine Versicherung online abzuschließen. Im ersten Schritt erfasst ein Requirements Engineer des IT-Dienstleisters, der vom Versicherer mit diesem Projekt beauftragt wurde, in einem Gespräch mit einem Repräsentanten der Versicherung die Anforderungen an das Produkt. Aus dem Gespräch erhält der Requirements Engineer unter anderem die Information, dass neben typischen Angaben zur Person ein Foto oder Scan des Personalausweises zur Verifizierung der Identität dienen soll.
Entsprechend diesenInformationen erstellt der Requirements Engineer in Zusammenarbeit mit seinem Team ein Vision Video. In diesem Vision Video ist ein potenzieller zukünftiger Kunde zu sehen, der auf seinem heimischen Endgerät die Website des Versicherers aufruft, seine personenbezogenen Daten eingibt sowie seinen Personalausweis abfotografiert und hochlädt. Nach Bestätigung seiner Angaben erhält der Kunde im Vision Video eine Erfolgsmeldung, dass er nun ab sofort versichert ist.
Nachdem dem Versicherer dieses Vision Video gezeigt wird, fällt ihm auf, dass innerhalb des Videos nicht dargestellt wird, wie die personenbezogenen Daten vor Bestätigung der Versicherung seitens des Versicherers mit dem beigelegten Personalausweis abgeglichen und bestätigt werden. Dieses Detail wurde im Eingangsgespräch nicht eindeutig kommuniziert und führt zu einer Erweiterung des Projekts um eine Schnittstelle für Mitarbeitende der Versicherung. Dadurch entsteht auch gleichzeitig ein wesentlich größerer Arbeitsumfang auf der Seite des IT-Dienstleisters. Gegebenenfalls kann diese Erweiterung dazu führen, dass die grundsätzliche Architektur des Produkts überdacht werden muss. Anhand der Erkenntnisse aus dem Vision Video ist es dem Entwicklerteam dann möglich, die Software für den Versicherer mit einem geringeren Fehlerrisiko zu erzeugen. Dabei wird das Vision Video als Grundlage verwendet, um daraus Arbeitspakete für den Entwicklungsprozess zu generieren und während des Entwicklungsprozesses Feedback vom Versicherer einzuholen.
Fehler in der Kommunikation wie in diesem Beispiel können zu einem späteren Zeitpunkt im Projekt zu zusätzlichem Arbeitsaufwand und somit zu hohen Kosten führen, die durch ein verhältnismäßig günstig zu produzierendes Vision Video vermieden werden können. Dieses Fallbeispiel habe ich aus Gründen der Anschaulichkeit überschaubar gehalten. Je größer und komplexer das Softwareentwicklungsprojekt wird, desto fataler können die Auswirkungen von Fehlern in der Kommunikation werden. Entsprechend wird es für größere Projekte noch attraktiver, sich mit dem Thema Vision Videos auseinanderzusetzen.
Produktionstipps für Vision Videos
Da die Produktion von Vision Videos ein Thema ist, mit dem sich die meisten IT-Fachkräfte vermutlich noch nicht auseinandergesetzt haben, folgen hier nun abschließend noch einige einfache Tipps, wie man ein gutes Vision Video produzieren kann:
- Die Länge von Vision Videos sollte sich auf nur wenige Minuten beschränken, damit die Aufmerksamkeit des Betrachters nicht abfällt.
- Der Beginn des Vision Videos sollte die reale Umgebung des Users zeigen, um die Verwendung des Produkts in einen Kontext zu setzen.
- Damit das Konzept des Produkts besser vermittelt wird, sollte das Vision Video eine Problemstellung, die Lösung des Problems in Form des Produkts und den erzeugten Mehrwert darstellen. Das Ganze kann dabei auch mit einer Short Story verbunden werden.
- Der Fokus des Vision Videos sollte sich in der Regel in der Mitte des Bildes befinden. Darüber hinaus sollte sowohl für Bildstabilität mithilfe eines Stativs als auch für eine angemessene Beleuchtung im realen Teil des Vision Videos gesorgt werden
Fazit
Die Kommunikation von Anforderungen und die Konzeptionierung von Ideen sind Vorgehensweisen, die in jedem Softwareentwicklungsprozess relevant sind. Vision Videos können hierbei eine unterstützende Rolle erfüllen, indem sie das zukünftige Produkt visualisieren und somit als Grundlage für die Kommunikation zwischen allen am Projekt beteiligten Personen dienen. Sie bieten die Chance, den Softwareentwicklungsprozess zu vereinfachen und zusätzliche Kosten zu vermeiden, die durch Missverständnisse und Fehler in der Kommunikation entstehen.